Suche den Frieden und jage ihm nach

Wie soll ich gute Gedanken finden in diesen Tagen? Wir sind noch nicht den Bedrohungen der Pandemie entkommen, da werden wir konfrontiert mit einem verheerenden, menschenverachtenden Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie kann ich von Hoffnung sprechen angesichts der schrecklichen Katastrophennachrichten und der realen Todesbedrohung von Menschen wie du und ich?

Wo ist meine eigene Hoffnung, wo ist die im Glauben begründete Zuversicht aus früheren Tagen? Nicht zuletzt durch das Versagen von Verantwortungsträgern in meiner Kirche ist mein Vertrauen erschüttert. Mit der fundamentalen Erschütterung meiner Kirche als moralischer Rahmen scheinen plötzlich auch die Kerninhalte von Gott und Glauben ins Wanken zu geraten. Wer seine persönliche Wertorientierung in hohem Maß aus seiner gläubigen Rückbindung gewinnt, hat heute zum Teil massive Legitimationsprobleme. Die Hoffnung auf einen in der Welt wirkenden Gott ist für manche nichts als blanke Utopie – in der Überflutung durch mehrere Krisen eine kaum mehr vorstellbare Wirklichkeit.

Aber ich weigere mich, von dieser Hoffnung auf Gott abzulassen! Jedoch von welchem Gott ist die Rede? Es wäre verrückt, naiv oder tatsächlich utopisch, einer Rettung dieser Welt das Wort zu reden, die irgendwie aus dem Gegensatz von Gut und Böse konstruiert wird. Die Abgründe von Welt und Menschen sind viel mehrschichtiger als es ein schlechter Actionfilm darstellen könnte: Ein angeblich guter Gott steigt als Gegenspieler zum bösen Diabolos aus dem Himmel herab mit Donner und Blitz, mit dem Hammer des Thor bewaffnet und noch mächtigeren Waffen als Atombomben, und schafft unwiderruflich Frieden. So ein Eingreifen bleibt nur Mythos, Roman oder Sage und birgt selber die große Gefahr zu pervertieren.

Welche Alternative ist dann aber tragfähig? Ich rechne mit einem Gott, der mitten in der Welt, in den Erlebnissen von Menschen und in der Not erfahrbar ist. Er ist ein Gott, der durch Menschen wirken will, die immer menschlicher und dadurch immer Gott-ähnlicher werden. Die Botschaft Jesu ist anders als der naive Kampf von Gut und Böse. Die Sprache unseres einen Gottes, dessen Botschaft Juden, Christen und Muslime in unterschiedlichen Dialekten ausdrücken, ist nicht ohne die Sprachfähigkeit und das Mitwirken des Menschen zu denken. Es ist die Sprache des verletzlichen Menschen und nicht des pervertierten, des bösen und fundamentalistischen Menschen. Nur über den Menschen, der seine Verantwortung wahrnimmt, und nur mit ihm will Gott seinen großartigen Schalom bewirken. Da ist es gut, wenn die Personen in unseren Kirchen nicht nur um sich selber kreisen, sondern aktiv ehrenamtlich tätig werden oder beispielsweise Wohnraum für Geflüchtete in ihren Liegenschaften bereitstellen. Frieden ist Tat und viel mehr, als nur „seid nett zueinander“: Kehrt um zum umfassenden Heil, zu Gesundheit und Wohlergehen, zum Leben in Freiheit und Würde und Gerechtigkeit. Unter dieser Perspektive Gottes werden plötzlich die Orientierungspunkte einer weltweiten Ethik, eines Weltrechts überdeutlich. Und so ist Gott durch seinen guten Geist in der Zeit, in der Geschichte, mitten in der Welt gegenwärtig. Gottes Wille geschieht ausdrücklich da nicht, wo Unfrieden herrscht, wo Menschen ausgebeutet, missbraucht und vergewaltigt werden, wo Krieg, Unfreiheit und Ungerechtigkeit herrschen.

Mit meiner ganzen Sehnsucht will ich mich von dieser rettenden Perspektive nicht verabschieden: Unser Gott will den Frieden mit allen Menschen guten Willens gewinnen. Und nicht jene, die gewalttätig, böse, unterdrückerisch oder auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, werden letztlich den Sieg davontragen. Durch die Fastenzeit dieses Jahres klingt unmissverständlich die Botschaft: Schaue auf die Gesichter der Geflüchteten, suche den Schalom und jage ihm nach, wo immer du Möglichkeiten hast.

Robert Flörchinger

(verfasst für Sonntagsgedanken 12./13.03.2022, Hanauer Anzeiger und Gelnhäuser Zeitung)

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